GABRIELE SCHAFFARTZIK

Tina Fibiger, Kulturjournalistin:
Rede zur Ausstellungseröffnung im Studio Wasserscheune
Gabriele Schaffartzik „Isimzis – Ohne Titel“


schaffartzik exhibition studio wasserscheune
Meine Damen und Herren,
liebe Freunde und Förderer des Studio Wasserscheune
Stellen Sie sich vor, Sie betrachten eine weiße Leinwand und wie da plötzlich ein Granatapfel über die Fläche kullert, zum Platzen gefüllt mit dem Fruchtfleisch und den Kernen, die sich jetzt einfach Luft verschaffen und ein buntes Chaos anrichten. Die Kerne haben genug Energie, um nun der Puppe einen Tritt zu verpassen, die offenbar auch in das Bild will und kopfüber abzustürzen droht, während sich die Streifen von Fruchtschalen nur so kringeln. Und dann scheint der ganze Spuk plötzlich vorbei, weil auf der Leinwand das wache Auge eines Vogelkopfes erscheint. Und wie er mit einem wilden Schwarm von roten Federn und diesem spitzen Schnabel so herrlich ungebändigt diese malerische Bühne von Gabriele Schaffartzik erobert. Doch noch während Sie dieses Schauspiel betrachten, setzt er bereits zum nächsten Flügelschlag an. Und dann kullern die Granatäpfel erneut ins Bild, auch die Schalenspuren und die Kerne, so als ob sie einfach vorübergehend unsichtbar sein mussten, obwohl sie für die Künstlerin die ganze Zeit präsent waren.

Ist es dieser ausspähende Vogelkopf, der jetzt auch noch Verzierungen und Ornamente anlockt, ein Labyrinth von Linien, Knochenreste, Spuren einer Schrift oder eine wölfische Visage? Oder sind es vielleicht doch die Früchte, die hier in eine assoziative Wildnis locken?

Meine Bildbeschreibung mag vielleicht ein bisschen bizzar klingen. Aber in den Bilderzählungen von Gabriele Schaffartzik muss ja keineswegs alles mit rechten Dingen zugehen und schon gar nicht plausibel. Ich finde, das macht sie für den Betrachter umso spannender, der sich schon bald in einem Sehabenteuer befindet und sich dabei als Spurensucher erleben kann: Wenn er in ihre Erzählungen hineinlauscht lauschen mag und in die Motive, die hier ein vieldeutiges Miteinander bilden, das auf der Leinwand Gestalt annimmt: Dramatisch und impulsiv anmutend und vielleicht sogar bizarr aber eben auch so schön uneindeutig. Und dann auch noch versehen mit einer Fülle scheinbar unscheinbarer Randnotizen, die ebenfalls ihre Zeit brauchen, bis sie sich sichtbar und lesbar in dieses Sehabenteuer einmischen.

Dass Gabriele Schaffartzik viel unterwegs war, auf Künstlersymposien und als „artist in residence“, haben Sie mit Sicherheit der Einladung entnommen. Heute betrachten wir das malerisches Reisegepäck, das sie aus Istanbul mitgebracht hat und aus der südtürkischen Stadt Urfa. Es sind allerdings keine unmittelbaren Reiseimpressionen, die Sie hier sehen sondern Fundstücke aus Gabriele Schaffartziks ganz persönlichem Erinnerungs- und Erfahrungsschatz, die an keinen Ort gebunden sind. Sie hat sie wie eine Archäologin betrachtet, die im malerischen Prozess immer wieder auf die verschiedensten Ablagerungen und deren assoziative Energie trifft, sie freilegt und bearbeitet. Manchmal dürfen sie dabei ausufern. Manchmal werden sie auch erneut überlagert oder sie bilden einen durchlässigen Bildraum mit einer scheinbar verblassenden Erinnerung, durch die bereits eine weitere Zeitspur hindurch schimmert.

Natürlich sind die Eindrücke und Beobachtungen aus Istanbul und Urfa dabei weiterhin präsent. Aber sie sind eben nur ein Element in diesen Bilderzählungen von Gabriele Schaffartzik, die Orient und Okzident in ihrem künstlerischen Kontext verwebt, kulturelle Traditionen und Zeitstimmungen, Architektur und Alltag, malerische Techniken und Ausdrucksformen. Sie erzählt von den Zeitspuren, die sich ständig verändern und immer wieder eine andere Gestalt annehmen können. Siie werden in Öl oder Acryl mitteilbar aber auch als Pastellreflex oder in einer Markierung mit Wachsmalkreide, die dann in eine der Erinnerungschiffren vordringt, die weiterhin einer tieferen Schicht verweilt; als ob sie sich den unruhigen Bildregionen auch nicht aufdrängen mag. Dort haben sich gerade andere Motive nachdrücklich stark gemacht: Wie etwa die Granatäpfel, die selbst als leuchtend rote Farbspuren noch die Idee des Fruchtkörpers behaupten und sich immer wieder in dieses tierische Schauspiel einmischen.

Der Vogel mit seinem prachtvollen Federkleid wollte der Künstlerin nach ihrem Aufenthalt in Urfa eine Zeit lang einfach nicht von der Seite weichen. Auch wenn sie sich gerade in ein Ornament vertieft hatte oder in ein Netz von Linien, die Silouette eines Körpers oder eine dieser Bruchkanten, wie aus Stein gehauen und gesplittert. Auch den umgekehrten Vorgang bearbeitete die Künstlerin, die nach dem Besuch einer Aufzuchtstation von Ibissen drei Skizzen entwarf, bis auf einmal weitere Motive wie von selbst einfach in den Bildraum wanderten, als hätten sie sich dafür geradewegs zusammengerottet.

So wild und abenteuerlich es hier in dieser Serie von Arbeiten im Erdgeschoss mitunter zugeht, Gabriele Schaffartzik weiß ihre assoziative Spurensuche auch zu bändigen. Mit der Struktur eines Gebäudes und seiner beschwingenden Architektur, in der die Bildelemente auch Räume und Nischen von Geborgenheit erfahren. Oder mit einem dunklen Hintergrund als Erdung für das Verwirrspiel der Motive und all die inspirierenden Unruheherde.

Wann war Ihnen das letzte Mal wirklich abenteuerlich zumute? Spüren Sie nicht manchmal auch diese Sehnsucht nach einer Wildnis, die nicht zu bändigen scheint, raus aus der oft auch erschöpfenden Ordnung der vertrauten Verhältnisse? Vielleicht auch ein bisschen Abenteuerlust oder pure Neugier? Sie müssen dabei nicht einmal wissen, wonach Sie sich eigentlich sehnen.

Es ist dieses immer wieder aufbrechen wollen, forschen, entdecken und aufrühren, das in den Arbeiten von Gabriele Schaffartzik ohne Vorbehalte daher kommt und Sie ermuntern möchte: Auch mit der Vorstellung, sich auf unbekanntem Gelände auch einfach mal zu verlieren, weil es vielleicht erst dann zu den Entdeckungen kommt, die nicht planbar oder vorhersagbar sind und auch deshalb von ganz besonderer Bedeutung. Vielleicht erstmal nur zum Staunen und dann umso mehr belebt von dem Wunsch, sich darin zu vertiefen.

Unter all den Farb- und Formbewegungen in dieser malerischen Choreographie mit alten, neuen und wiederkehrenden Motiven werden Sie auch kleine, feine Stiche entdecken. Vielleicht erst später, wenn Ihr ganz persönliches assoziatives Abenteuer beginnt. Dabei begegnen Sie den meditativen Momenten, die Gabriele Schaffartzik in ihre Bilderzählungen ebenfalls eingebettet hat. Sie arbeitet gern in Serien, um sich in die bewegten Bilder weiter zu vertiefen. Dazu gehört auch der Wunsch die Sprache der Farben und der Formen in Mustern, Ornamenten und Verwerfungen zu verfeinern; und sei es mit Nadel und Faden und diesen zarten Stichen, die nie bloße Verzierungen sind sondern ein Ausdruck des für sich seins, wo ein Erzählfaden aufgenommen wird, bei dem sich anders innehalten lässt, um bald mit einem neuen Blick in einem vielstimmigen Leinwandpanorama zu verweilen.

Wunderbar verweilen lässt sich auch in den beiden Serien von Gabriele Schaffartzik, denen Sie auf der Galerieetage und unter dem Dach der Wasserscheune begegnen. Hier könnte man von Reiseimpressionen sprechen und von einer architektonischen Spurensuche in Istanbul, mit dem byzantinischen Erbe der Stadt und mit dem moslemischen. Hier folgt die Künstlerin der Spur der Steine und ihrer Geschichte: Beim Anblick der Hagia Sofia, der Chora- und der Apostelkirche und weiteren sakralen Gebäuden. Auf der Leinwand bilden sie steinerne Collagen ohne die originären Silouetten der Gebäude, die man hier nicht einmal erahnen kann. Umso mehr bekommt man von der Patina zu spüren, die sich auf den massive Blöcken gebildet hat. Und vielleicht auch eine Vorstellung von den architektonischen Zumutungen und Eingriffen aus den Zeiten von Glaubenskriegen und Krisen, die sich hier wie Verwerfungen im Mauerbrocken und Splittern lesen lassen: So wehrhaft und störrisch und ganz anders als die Serie mit den Momentaufnahmen der Sulanahmet Moschee. Mit dem Blick auf ein Fenster und all die Licht und Schattenspiele, die darin flackern.

Gabriele Schaffartzik variiert das Motiv in sanften Farbstimmungen, einem zauberhaftem Blauschimmer und glutvoll wärmenden Brauntönen und wird dabei auch zur malenden Poetin. Mit Nadel und Faden in feinsten Stichen verwebt sie den Fensterblick mit zarten Chiffren von Worten und Klängen, die dieser Ort erlebt hat, damit auch wir in sie hineinlauschen. In dieser Stimmung geht es dann noch einmal wunderbar bergauf: In die Dachetage und eine köstliche Landschaft von Früchten. Genießen Sie die Granatäpfel wie „Die Sommerseligkeit“, den Titel, den Gabriele Schaffartzik dieser Serie gegeben hat. Lassen Sie sich von der Leichtigkeit berühren, mit der sich hier die Formen verspielt und beschwingt auflösen. Und wenn Sie sich dann wieder ins Erdgeschoss begeben und in die wilden Abenteuerregionen, werden Sie vielleicht auch darin für sich etwas von genau diesen magischen Momenten entdecken.

Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit!
Tina Fibiger
Erbsen, 2. März 2015